Ein Finger navigiert auf der Braillezeile.

Vorgestellt: Unsere Testerinnen für das Projekt digitale Barrierefreiheit

Melanie Ahrens, Seniz Bernhardt und Irma Smailovic haben eine Gemeinsamkeit: Die drei Frauen absolvier(t)en Ihre Ausbildung beim Berufsförderungswerk Würzburg. Bei der Suche nach Tester*innen wurden wir erneut vom Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung unterstützt, dessen Team uns freundlicherweise den Kontakt zum BfW vermittelt hat. Melanie Ahrens und Irma Smailovic sind gerade noch mitten in der Ausbildung zur Fachinformatikerin bzw. Kauffrau im Gesundheitswesen. Seniz Bernhardt hat ihre Ausbildung 2021 bereits abgeschlossen und ist kürzlich nach Erfurt gezogen. Wir geben den drei Frauen eine Plattform, um sich vorzustellen:

Melanie Ahrens: "Nicht Customer-Support, sondern Software-Entwicklung"

Melanie Ahrens

Nach meinem Schulabschluss habe ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert und im Anschluss fast zehn Jahre als freiberufliche Übersetzerin gearbeitet. Ich habe englische und spanische Texte für Unternehmen und Privatpersonen übersetzt. In dieser Position durfte ich auch Übersetzungen von Urkunden beglaubigen. Was viele nicht wissen: Im europäischen Raum ist die Brailleschrift gleich. Im Spanischen gibt es aber noch Akzentzeichen. Ich glaube, in Russland und den arabischen Ländern ist die Brailleschrift anders. Aufgrund der Corona-Pandemie habe ich immer weniger Aufträge erhalten. Die Selbstständigkeit wurde zunehmend schwieriger. Aus diesem Grund habe ich mich im Juli 2021 für die Ausbildung zur Fachinformatikerin beim BfW in Würzburg entschieden. Das ist ein Beruf mit Zukunft und ich sehe es als Chance, meine Sprachkenntnisse mit der Informatik zu kombinieren. Als Übersetzerin kam ich bereits mit Übersetzungssoftware in Kontakt. Ich will diese Software zukünftig aber nicht mehr nur benutzen, sondern selbst programmieren. Nach meinem Abschluss im Jahr 2023 möchte ich daher als Entwicklerin für Übersetzungssoftware arbeiten - gerne auch in einem internationalen Unternehmen. Mein Ziel ist ganz klar, in die Entwicklung zu gehen und nicht in den Customer-Support.

Schachmatt am Telefon

Durch die Corona-Krise habe ich das Schachspielen wiederentdeckt, nachdem ich zufällig auf eine Ausschreibung für ein Telefonschachturnier für Blinde aufmerksam geworden bin. Ich habe bei diesem Turnier zwar nichts gewonnen, aber es hat sehr viel Spaß gemacht. Ich habe es schon als Kind gelernt und bin mittlerweile wieder im Blindenschachverein aktiv. Bei einem Schachbrett für Blinde sind die schwarzen Felder leicht erhöht. Die schwarzen Figuren erkennt man an einer kleinen Spitze auf der Figur. Ansonsten kann man die unterschiedlichen Spielfiguren auch erfühlen. Man spielt mit zwei Brettern. Die Züge werden angesagt und der Gegenspieler fährt die Züge mit. Bei einem Turnier, fernab vom Telefon, gibt es zwar immer einen Schiedsrichter, aber wir spielen ja eher aus Spaß an der Freude.

Irma Smailovic: "Es gibt immer Möglichkeiten"

Irma Smailovic

Meine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen beim BfW in Würzburg habe ich im Februar 2021 begonnen. Ich wollte dem Gesundheitsberuf treu bleiben, denn ich habe bis 2018 als Krankenschwester gearbeitet. Nach meiner Erblindung konnte ich diesen Beruf nicht mehr ausüben. Das war eine sehr, sehr schwierige Zeit für mich. Ich wusste nicht, wie es weiter gehen soll und am Anfang erschien mir alles unmöglich.

Wandern zum Mittelpunkt Europas

Besonders der Austausch mit Anderen im Bildungszentrum hat mir aber sehr geholfen. Denn wir treffen uns nicht nur im Rahmen der Ausbildung, sondern unternehmen auch gemeinsame Ausflüge, zum Beispiel zum Wandern. Eine meiner liebsten Touren geht durch die Würzburger Weinberge nach Gadheim, das seit dem Brexit der geografische Mittelpunkt der Europäischen Union ist. Diese Erfahrungen haben mir vor allem gezeigt, dass es immer Möglichkeiten gibt, wenn man an sich selbst glaubt. Daher würde ich mir auch von sehenden Menschen einen offeneren Umgang wünschen. Mir fällt im öffentlichen Nahverkehr immer wieder auf, dass es noch viele Berührungsängste und Hemmungen gibt. Mein Rat an alle, die sich unsicher sind: einfach ansprechen!

Seniz Bernhardt: "Digitalisierung brachte einen enormen Fortschritt, auch neue Berufszweige zu ergreifen"

Seniz Bernhardt

Ich habe mich nach meinem Schulabschluss für eine Ausbildung zur Physiotherapeutin entschieden. Ich habe einen angeborenen Sehfehler, der sich seit meinem elften Lebensjahr bemerkbar macht: eine sogenannte Makula-Degeneration in der juvenilen Form. Das bedeutet, dass meine Netzhaut beschädigt ist. Mit einem Sehrest von fünf bis zehn Prozent kann ich mich im Raum orientieren, aber das Scharfsehen fehlt zum Beispiel komplett. Als ich die Schule beendet habe, gab es leider kaum berufliche Möglichkeiten für Menschen mit einer Sehbehinderung.

Digitalisierung erweitert berufliches Spektrum

Masseurin, Physiotherapeutin, Korbflechterin, Telefonistin oder Bürstenbinderin: Zwischen diesen Berufen konnte ich mich beispielsweise entscheiden. An Tätigkeiten, wie Verwaltungsfachangestellte, Kauffrau im Büromanagement oder Fachinformatikerin - wie das heute alles üblich ist - war gar nicht zu denken. Das hatte auch mit den technischen Möglichkeiten zu tun. Einen Zugang zu Computern gab es schließlich nicht. Die Digitalisierung brachte einen enormen Fortschritt, auch neue Berufszweige zu ergreifen. Was natürlich auch Auswirkungen auf die Lehre hatte - zum Vergleich: 1995 steckte ich mitten in der Vorbereitung für meine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Wir nutzen, schon ganz modern, einen Kassettenrekorder mit Aufnahmegerät und Mikrofon. Den Vortrag unseres Dozenten haben wir per Hand notiert und gleichzeitig aufgenommen, damit wir es später auf der Schreibmaschine übertragen konnten. Später gab es dann vergrößerte Skripte und CDs, sodass wir uns zum Beispiel die Anatomie des Körpers auch auf Bildern angucken konnten. Das war ein Highlight. Aufgrund einer Rückenerkrankung kann ich meinen Beruf mittlerweile nicht mehr ausüben. Daher habe ich mich beim BfW Würzburg zur Kauffrau im Gesundheitswesen umschulen lassen. Die Umschulung habe ich 2021 abgeschlossen und bin nun auf Jobsuche.

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Christian Schultze ist Development Director der SecondRed Newmedia GmbH.

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