Fragen an einen Entwickler: Wie macht man eine Website barrierefrei?

Christian Schultze ist Development Director bei SecondRed Newsmedia GmbH

A11Y, W3C und WCAG: Was wie der Anfang des Fanta 4-Hits "MfG" klingt, sind wichtige Abkürzungen im Zusammenhang mit digitaler Barrierefreiheit. Im Interview schmeißt Christian Schultze mit diesen Begriffen um sich. Er ist Development Director der SecondRed Newmedia GmbH und koordiniert die technischen Anpassungen am TAB-Onlineangebot. Rund 200 externe IT-Stunden wurden im Zeitraum September 2021 bis Januar 2022 dafür eingeplant. Mit Christian Schultze sprechen wir über die Herangehensweise an so ein komplexes Thema und fragen nach, wann unsere Seite eigentlich fertig ist.

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Wie haben Sie sich als Internetagentur dem Thema "Barrierefreiheit" genähert?

Christian Schultze: "Wir haben uns vor vier oder fünf Jahren grundlegend an das Thema Barrierefreiheit, auch mit A11Y als eine Art Abkürzung für das englische Wort "Accessibility" bezeichnet, so herangetastet, dass zunächst erst einmal Informationen gesammelt wurden, was Barrierefreiheit im Web-Umfeld überhaupt bedeutet und vor allem was benötigt wird. Hierzu hat das W3C-Konsortium, also das Gremium zur Standardisierung von Techniken im World Wide Web, mit der "W3C-Web-Accessibility"-Initiative (kurz WAI) eine Fülle von Standards erarbeitet. Derzeit wird an Version 2.2 der sogenannten "Web-Content-Accessibility"-Guidelines (kurz WCAG) gearbeitet. Mithilfe der WCAG und auf Basis zahlreicher Recherchen zu Best-Practice-Veröffentlichungen anderer Entwickler aus Artikeln, Web-Recherche, Blogs, Do’s/Dont´s etc. bauten wir unser eigenes Know-how zum Thema auf. Dies stellt für uns das grundlegende Verständnis aus technischer Sicht her. Mindestens genauso wichtig war uns darüber hinaus Wissen anzueignen, wie Menschen technische Hilfsmittel einsetzen und welche Erlebnisse sie dabei gesammelt haben. Diese Erfahrungen von Nutzern bilden die Balance zwischen theoretischen Anforderungen und praktischer täglicher Benutzung. Die Frage für uns lautete also: Wie wirkt eine Website aus Sicht der Nutzer und welche Schwierigkeiten treten bei der Verwendung von zum Beispiel Screenreadern auf? Die Herangehensweise ist im Grunde die gleiche wie im Designprozess, wenn man die User Experience von nicht-beeinträchtigten Personengruppen im Fokus hat."

Wie kann ein Status Quo zur Einschätzung der Barrierefreiheit überhaupt erhoben werden?

Christian Schultze: "Im konkreten Fall der TAB-Website analysierten wir den Ist-Stand durch einzelnes Betrachten aller funktionalen Seiten. Parallel dazu nutzten wir Open-Source W3C-HTML-Code-Validatoren, Kontrast-Checker-Tools sowie Aria-HTML-Semantik Prüf-Software, um das Onlineangebot weitestgehend automatisiert analysieren zu können. Daraufhin entstand ein erster Maßnahmenkatalog."

Was haben Sie dafür getestet?

Christian Schultze: "Wir haben die gesamte Website mit all ihren speziellen Funktionalitäten und Besonderheiten geprüft. Dabei haben wir uns den Screenreader NVDA zu Hilfe genommen, um ein besseres Verständnis zu entwickeln, wie ein Nutzer den aktuellen Website-Besuch erlebt. Aus diesen Erkenntnissen haben wir Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet."

Wie wurde anschließend ein Maßnahmenpaket geschnürt?

Christian Schultze: "Mit Beginn des Projektes war es stets das gemeinsame Ziel, regelmäßige Aktualisierungen und Verbesserungen der Barrierefreiheit der Website einzuspielen und so frühzeitig das Feedback und die Verbesserungen durch Tester zu erhalten. Ausgehend von den Haupt-Zugriffspunkten der TAB-Website – also Startseite sowie Zielgruppen-Einstiegsseiten und dem Bereich der Förderprogramme – haben wir alle stetig wiederkehrenden Elemente, wie zum Beispiel das Menü, den Footer, die Suche usw., priorisiert und Aufgaben abgeleitet. Detail-Elemente auf eher weniger präsenten Seiten wurden niedriger priorisiert."

Wie sollte ein gutes Briefing aus Agentursicht aussehen?

Christian Schultze: "Für uns als Agentur ist es wichtig, welche Ziele der Auftraggeber, in diesem Fall die Thüringer Aufbaubank, erreichen will und welche Aria-Level-Vorgaben durch den Auftraggeber vorgegeben werden. Was also ist in welcher A11Y-Tiefe ungefähr gewünscht? Daraus leiteten wir dann notwendige Maßnahmen ab. Nicht weniger wichtig ist der Standpunkt des Kunden bezüglich der Design-Anforderungen an die Website. Steht das Design über der Usability? Oder darf es Änderungen am Design geben, um notwendige Maßnahmen umsetzen zu können? Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass sich gegebenenfalls für nicht eingeschränkte Nutzer die Wirkung der Seite in Teilen etwas ändert. Das können zum Beispiel notwendige Farbanpassungen sein, die für ein besseres Kontrastverhältnis sorgen, aber nicht zu 100 Prozent die Corporate-Identity-Vorgaben des Kunden einhalten."

Wie schwer ist es das Feedback der Tester*innen nachzuvollziehen und einzuarbeiten?

Christian Schultze: "Hier gibt es keine Unterschiede zu Testern ohne Bezug zur Barrierefreiheit. Das Feedback ist immer abhängig vom Kommunizierenden. Das heißt ein "Es geht nicht" ist wenig hilfreich. Konkrete, möglichst detailgetreue Angaben helfen ungemein, die Schwierigkeiten und Probleme nachvollziehen zu können und im Ergebnis dann natürlich auch zu verbessern. Die Thüringer Aufbaubank geht hier einen sehr wichtigen und unserer Meinung nach erfolgsversprechenden Weg, Menschen von Beginn an einzubinden, für die die Arbeiten stattfinden und deren Feedback aufgrund ihres Erfahrungsschatzes entscheidend dazu beiträgt, die Website der Thüringer Aufbaubank besser zu machen."

Ist die Seite auch irgendwann fertig?

Christian Schultze: (lacht) "Die gesetzten Maßnahmenpakete werden Schritt für Schritt in Rücksprache mit den Testerinnen fertiggestellt, Feedback wird eingearbeitet, das ist ein endlicher Prozess. Stetig weitergeführt wird es mit Neuerungen, die auf der Website der Thüringer Aufbaubank für die Nutzer angeboten werden."

Vielen Dank für das Gespräch!

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