"Einfach alles lesen können"

Melanie Ahrens ist ausgebildete Übersetzerin. Derzeit lässt sie sich am Berufsförderungswerk Würzburg zur Fachinformatikerin umschulen. Nach ihrem Abschluss möchte sie selbst programmieren und als Entwicklerin für Übersetzungssoftware arbeiten. In ihrem Gastbeitrag zeigt Melanie Ahrens am Beispiel Lesen, welche enormen Verbesserungen sich für Menschen mit Sinneseinschränkung durch den technischen Wandel ergeben.

Melanie Ahrens

Viele Leser wird es wahrscheinlich wundern, aber für mich als Geburtsblinde gab es kaum etwas, worum ich die Sehenden beneidete. Einen Wunsch hatte ich allerdings schon immer: Endlich alles lesen können! Das mag vielleicht seltsam erscheinen, doch als Blinde war das, trotz der Brailleschrift, bei der Buchstaben in tastbaren Zeichen aus je sechs Punkten dargestellt werden, zumindest früher, gar nicht so einfach.

"Der Herr der Ringe" in 30 Bänden

Zwar gab es Bücher in Blindenschrift, die Auswahl war jedoch begrenzt. Auf eine Seite in Blindenschrift passt wesentlich weniger Text als auf eine Seite in Schreibschrift. Die Bücher waren also enorm dick und umfassten häufig zahlreiche Bände. So besteht beispielsweise „Der Herr der Ringe“ in Blindenschrift aus insgesamt 30 Bänden. Es gab früher auch eine Blindenbücherei, bei der man sich Bücher ausleihen konnte. Diese wurden dann in mehreren Koffern per Post verschickt. Wenn ich ein Buch ausgelesen hatte, musste ich die Koffer wieder zurückschicken. Ein Urlaub mit ausreichend Lesestoff war damit so gut wie unmöglich, denn für eine Leseratte wie mich wären für zwei Wochen Strandurlaub wohl mehrere große Koffer erforderlich gewesen.

Smartphones bringen Revolution

Das iPhone hat mein Leben verändert. Die Audible-App bietet derzeit nahezu jedes Buch relativ kurz nach seiner Erscheinung als Hörbuch an. Nicht ganz dasselbe wie selbst lesen, aber doch eine schöne und vor allem entspannende Alternative. Zumal man bedenken muss, dass man bei den alten Blindenschriftbüchern oft Monate warten musste, bis es eine Neuerscheinung, wenn überhaupt, einmal in Blindenschrift gab. Doch auch zum „richtigen“ Lesen bietet das iPhone eine Möglichkeit: Manch einer hat vielleicht schon von der Braillezeile gehört, einem Gerät, das den Bildschirminhalt in tastbare Blindenschrift umwandelt. Diese Braillezeile gibt es inzwischen nicht mehr nur für den PC, sondern auch in kleinerer Ausführung für das Smartphone. Somit lassen sich problemlos auch alle Bücher über den E-Books-Store lesen.

Was mir in meiner Kindheit noch wie ein Traum erschien, ist somit dank der Technik möglich geworden: Auch als blinde Person kann ich alles lesen.

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