„Aus dem Boden gestampft und einfach gemacht“

Das #TABinterview mit Erich Petke

Erich Petke ist Leiter der Projektentwicklungsgruppe.

Auf der Fahrt durch Diedorf sticht uns der Grund unserer Anreise direkt ins Auge. Die Industriebrache der ehemaligen Strumpffabrik ESDA prägt den Ortskern der Eichsfelder Gemeinde. Was wir aber auch sehen: Auf dem Gelände wird eifrig gearbeitet, denn knapp 100 Jahre nach Inbetriebnahme kehrt neues Leben in die alten Fabrikhallen. Wir sind mit Erich Petke verabredet. Der 66-Jährige arbeitet als Prokurist in der Alten- und Pflegeheim Diedorf GmbH , einem Betrieb unter der Marke ZiPP Pflegekonzepte.

Neben dieser Tätigkeit leitet er seit 2017 die Projektentwicklungsgruppe zur Revitalisierung der Strumpffabrik (ESDA). Diese Funktion wurde ihm vom Geschäftsführer Dr. Heiko Tierling übertragen, der sich als einer der größten Arbeitgeber der Region für die Sanierung dieser Industriebrache engagiert. Im #TABinterview sprechen wir mit Erich Petke über den aktuellen Planungsstand, Herausforderungen beim Bau und interessante Fundstücke.

Herr Petke, welche Bedeutung hatte die Strumpffabrik für die Region?

Die Strumpffabrik wurde im Herbst 1920 in Betrieb genommen. Bis zur Wende wurden rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. In der gesamten Region gibt es keine Familie, in der nicht mindestens ein Familienmitglied bei ESDA-Diedorf gearbeitet oder hier gelernt hat. Zu DDR-Zeiten war die Strumpffabrik wirklich ein sehr wichtiger und geschätzter Betrieb. Unter anderem ist bekannt, dass hier die erste Kinderstrumpfhose entwickelt wurde. In der ehemalige Fabrikantenvilla auf diesem Gelände möchten wir dazu künftig ein Strumpfmuseum unterbringen, welches derzeitig noch in sehr beengtem Rahmen im Keller der Gemeindeverwaltung Diedorf das Dasein fristet.

Wann wurde mit der Revitalisierung der Industriebrache begonnen?

Die ehemalige Strumpffabrik in Diedorf ist zentrumsnah. Der Wunsch war also schon immer groß, den Status der Industriebrache aufzubrechen und dem Dorfzentrum neues Leben einzuhauchen. Dafür gab es mehrere Varianten, aber auch viele vermeintliche Berater, die Kosten verursachten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Im Jahr 2017 haben wir unsere Kräfte mit regionalen Partnern gebündelt, um die Entwicklung ohne auswärtige Hilfe voranzutreiben. Harald Zanker, Landrat im Unstrut-Hainich-Kreis, und Andreas Henning, Bürgermeister der Gemeinde Südeichsfeld, stehen uns seitdem als Projektpaten zur Seite und haben uns unter anderem auch den Kontakt zur Thüringer Staatskanzlei vermittelt. Hierüber wurden wir auf ein Projekt in Jüdenbach aufmerksam, wo eine alte Spielzeugfabrik zu neuem Leben erweckt wurde. Ab diesem Tag haben wir gemeinsam mit der LEG Thüringen eine Projektentwicklungsgruppe gebildet und begonnen, das Projekt zu entwickeln, Ideen zu sammeln und zu prüfen.

Welche Ideen gab es für die Strumpffabrik?

Die Industriebrache ist ein so gewaltiger Komplex, der finanziell kaum darstellbar ist. Wir konnten nicht alles gleichzeitig lösen, sondern mussten an einem Punkt anfangen. Als Zugpferd haben wir mit der ehemaligen Fabrikantenvilla ein erstes Teilprojekt in Angriff genommen. Das Projekt haben wir bis in der Planungsreife vollendet, standen unmittelbar vor Beantragung der Baugenehmigung, als im Rahmen der finanziellen Sondierungen das Aus kam. Die Gebäudesubstanz hat zum baulichen K.O. geführt, sodass eine Finanzierung über Fördermittel, Kredite und Co. nicht realistisch wurde. Wir haben also gemeinsam beschlossen, dieses Projekt auf Eis zulegen und uns auf eine neue Idee zu konzentrieren. Maßgeblich für diese Entscheidung war auch wieder die Bündelung Thüringer Kompetenzen. Denn die Sparkasse Unstrut-Hainich, Hausbank von Dr. Tierling, hat uns nicht nur gesagt, dass dieses Teilobjekt finanziell nicht realisierbar ist, sondern uns vielmehr aufgezeigt, was möglich wäre. Zum Beispiel der Bau von Wohnraum.

Wie kam dann die Thüringer Aufbaubank ins Spiel?

Die Sparkasse hat uns auf die Fördermöglichkeiten des Innenstadtstabilisierungsprogramms (ISSP) aufmerksam gemacht, woraufhin durch die LEG Thüringen direkte Kontakte zu TAB-Mitarbeitern geknüpft worden. Diese Zusammenarbeit war äußerst zielführend, weil es nicht nur darum ging, eine Bonitätsprüfung zu erfüllen, sondern das Gesamtprojekt von Anfang an transparent darzustellen. Dazu gab es viele Gespräche und Beratungen.

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Wann fiel der Startschuss?

Der erste Spatenstich erfolgte am 16. September 2020. Über das ISSP-Programm realisieren wir ein Wohnhaus mit 14 barrierefreien Einheiten. In diesem Zuge haben wir aber auch die angrenzenden Gebäude in die Planung aufgenommen. Diese Gebäude sind unmittelbar benachbart und so konnten wir Fragen der energetischen Versorgung mit Blockheizkraftwerk, Elektroenergie und Co. direkt klären. Man muss also ganz deutlich an die Adresse des Thüringer Bauministeriums und der Thüringer Aufbaubank sagen, dass die Realisierung des Wohnhauses die Revitalisierung dieses Geländes überhaupt erst ermöglicht hat.

Was ist zusätzlich zum Wohnhaus angedacht?

Angrenzend an das Wohnhaus haben wir auch den ehemaligen Saal als Erbe übernommen. Die Lampen des Saals waren eine ganz DDR-typische Konstruktion, also als Kronleuchter gebogene Neonröhren, die es gar nicht mehr gibt. Wir haben auf LED umgerüstet, aber konnten zum Glück eine Lampe erhalten. Das war zwar teuer, aber hat sich gelohnt, schließlich ist der Saal vielen Familien noch bekannt.

In einem weiteren Gebäude entsteht ein medizinisches Versorgungszentrum. Welche Bedeutung hat das MVZ für den Ort?

Ursprünglich waren in diesen Teilobjekten zwei Gewerbeeinheiten geplant. Diese Projektideen haben wir aber kurzfristig gecancelt als sich Ende 2020 ein medizinischer Versorgungsnotstand in Diedorf anbahnte. Der ansässige Landarzt ist leider verstorben, weshalb es hier keinerlei Versorgung mehr gab. Mithilfe eines kurzen Schulterschlusses zwischen unseren Projektpaten haben wir unsere Kontakte zur katholischen Krankenhausvereinigung St. Nepomuk in Erfurt genutzt. Hier stand relativ schnell fest: Wenn wir die Räumlichkeiten stellen, sichert die Vereinigung unsere medizinische Versorgung. Also haben wir die Gewerbeeinheiten kurzum rausgeschmissen und umgeplant. Dadurch waren aber natürlich neue Probleme vorprogrammiert.

Vor welchen Herausforderungen haben Sie gestanden?

Für die Gewerbeeinheiten hatten wir in der Baugenehmigung zum Beispiel eine Ausnahmegenehmigung zur Unterschreitung der Raumhöhe, was im medizinischen Bereich natürlich nicht geht. Also mussten wir in den sauren Apfel beißen und den Boden absenken. Wir mussten aber auch andere Rückschläge einstecken: Plötzlich kam Wasser aus dem Boden oder es gab bauliche Veränderungen. Insbesondere auch durch die Corona-Krise waren Baufirmen nicht mehr in der Lage, die vertraglich geregelten Aufgaben zu erfüllen. Im Ergebnis sind das aber alles nur Randnotizen, denn Tatsache ist, dass alles funktioniert hat. Es wurde eben aus dem Boden gestampft und einfach gemacht. Wie das hier üblich ist.

Es gab aber auch positive Überraschungen. Welche waren das?

Wir haben im Zuge der Abrissarbeiten im Kellergebäude einen Panzerschrank gefunden, der annähernd 100 Jahre alt war, also 1920 oder 1921 in Mühlhausen gebaut wurde. Durch eine Verkettung von Zufällen habe ich selbst - in einem Verwaltungsgebäude in einem anderen Haus - in einem Schreibtisch einen Briefumschlag mit Schlüsseln gefunden. Und die haben wir, eigentlich nur interessehalber, mal in den Panzerschrank gesteckt. Und die passten tatsächlich! Im September 2021 haben wir ein Event daraus gemacht und den Panzerschrank dann zum ersten Mal geöffnet. Darin waren eine Grundstücksurkunde von 1846 vom Großherzog und die Gründungsurkunde des ersten volkseigenen Betriebes 1948/1949. Wir haben aber auch Fertigungsbücher über die Herstellung von Strümpfen gefunden. Das waren wirklich interessante Sachen. Die gesamten Unterlagen haben wir einem Historiker übergeben, der sie archiviert und aufarbeitet.

Wie haben die Diedorfer auf das Projekt reagiert?

Alle sind hellauf begeistert, dass wir in der Sichtachse des Ortes unmittelbar an der Ortsverbindungsstraße zwischen Diedorf und Wendehausen ein architektonisch neues Bild schaffen, was die vorhandene Baustruktur und das Neue harmonisch miteinander verbindet. Seit Baubeginn gibt es hier eine regelrechte Völkerwanderung, denn die Diedorfer sind neugierig und haben natürlich auch hohe Erwartungen. Für den Saal gab es schon frühzeitig die ersten Reservierungen.

Wann ist die Fertigstellung geplant?

Der Saal und das medizinische Versorgungszentrum sind bereits eröffnet (Anmerkung der Redaktion: Stand April 2022). Die Fertigstellung des Wohnhauses ist im Herbst 2022 geplant. Aufgrund der Nachwehen der Corona-Pandemie kann es hier aber noch kurzfristig zu Änderungen kommen.

Was sind Ihre Visionen für die Zukunft?

Unsere Idee für die Fabrikantenvilla wurde nur eingefroren, aber nicht verworfen. Aber es existieren auch weitere Pläne für andere Teilobjekte. Es ist vorgesehen, eine integrative Kindertagesstätte mit 60 Plätzen zu bauen. Das ist natürlich eine Hausnummer. Die Diedorfer Schule ist auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur ehemaligen Strumpffabrik. Hier würden wir gerne weitere Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Auch ein Ausbau des MVZ mit verschiedenen Facharztpraxen ist angedacht. Ebenso wollen wir hier eine Apotheke integrieren. Hierfür sind die Planungen schon relativ weit fortgeschritten, was es für künftige Investoren natürlich auch attraktiver macht, wenn wir schon langfristige Pachtverträge vorweisen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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