Aneignung der Wohnung mit Optionen: eine empirische Untersuchung

Neues vom Projekt #3ZKDB

Das Projekt "3 Zimmer, Küche, Diele, Bad" wird wissenschaftlich eng begleitet. Im Gastbeitrag skizziert Carsten Praum von der Professur für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar, wie diese Begleitforschung konkret aussieht. Die Ergebnisse werden im kommenden Jahr in einer Buchpublikation veröffentlicht. 

Über den Autor

Carsten Praum - 3ZKDB - (c) Tobias Adam (Portraitfoto von Carsten Praum)

Carsten Praum studierte Soziologie auf Diplom an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Historische Urbanistik im Master an der Technischen Universität Berlin. Von 2011 bis 2016 war er Mitarbeiter im Planungsbüro STATTBAU Berlin, seitdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Stadtplanung der Bauhaus-Universität Weimar. Dabei ist er unter anderem Koordinator des inter- und transdisziplinären Forschungsprojektes "Drei Zimmer, Küche, Diele, Bad". Von 2012 bis 2019 war er zudem Mitglied der Redaktion von sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stadt- und Wohnungsforschung, Quartiersentwicklung und gemeinschaftlicher Wohnungsbau.

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Das inter- und transdisziplinäre Forschungsprojekt „Drei Zimmer, Küche, Diele, Bad“ formuliert, verhandelt und erforscht seit nunmehr vier Jahren Fragen an das Wohnen in der Zukunft. Dies erfolgt am Beispiel der Transformation einer bestehenden Wohnung in einem denkmalgeschützten Gebäudeensemble aus den 1920er Jahren in Weimar.

Beginnend mit einem experimentellen Planungs- und Entwurfsprojekt, an dem dreizehn Student*innen aus den Studiengängen Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar teilnahmen, wandelte sich die leerstehende Wohnung im Herbst 2017 zunächst für ein Semester in einen Arbeits-, Diskussions- und Ausstellungsraum. Aufbauend auf Arbeiten der Student*innen wurde im Jahr 2018 ein Modell für den Umbau, die Vergabe und die Nutzung einer Wohnung mit Optionen entwickelt. Mit wenigen aber grundlegenden Interventionen ist dabei ein flexibler Grundriss mit Anbindung der Hochparterrewohnung an den rückwärtigen Garten entstanden, der nicht nur unterschiedliche Formen des Wohnens und Arbeitens erlaubt, sondern auch nachbarschaftliche Aktivitäten ermöglicht. Die zukünftigen Bewohner*innen wurden im Frühjahr 2019 im Rahmen eines konzeptgebundenen Vergabeverfahrens ausgewählt, innerhalb dessen Ideen für eigene Aktivitäten eingebracht werden konnten.

Mit dem Einzug der beiden Bewohner*innen begann im Herbst 2019 eine zweijährige Phase der Begleitforschung, mit der in einer Längsschnittstudie untersucht wurde, wie sich die Bewohner*innen, die Hausgemeinschaft und die Nachbarschaft die transformierte Wohnung aneignen und wie sich diese speziellen Formen der Aneignung erklären lassen. Dabei ermöglichen Längsschnittstudien im Unterschied zu Querschnittstudien über einen längeren Zeitraum hinweg, Daten zu ein und demselben Untersuchungsgegenstand erheben und auswerten zu können. Dies macht sie zu empirischen Untersuchungen mit entsprechend hohem Informationsgehalt, die vor allem dazu dienen, soziale Prozesse und sozialen Wandel zu erforschen. Für diese empirische Untersuchung wurden unterschiedliche quantitative und qualitative sozialwissenschaftliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden genutzt.

So diente eine vollstandardisierte Befragung dazu, halbjährlich Veränderungen in dem Verhalten und in den Einschätzungen der Bewohner*innen zu erfassen. In einem Tagebuch mit integriertem Wochenplan sollten die Bewohner*innen zudem Zeiten und Aktivitäten festhalten, in denen und durch die es zur Aneignung der Wohnung durch die Bewohner*innen, die Hausgemeinschaft und die Nachbarschaft kam. Außerdem bot ihnen das Tagebuch die Gelegenheit, persönliche Erlebnisse niederzuschreiben. Mit Hilfe von leitfadengestützten Interviews wurden die Bewohner*innen halbjährlich ausführlich zu ihrem Alltag in der Wohnung, der Hausgemeinschaft und der Nachbarschaft befragt. Darüber hinaus wurden zum Ende der Längsschnittstudie im Spätsommer 2021 vier zusätzliche leitfadengestützte Interviews mit Mitgliedern der Hausgemeinschaft und einer weiteren Nutzerin der Wohnung geführt, die als ergänzende Querschnitterhebung zu verstehen sind, und durch die auch Außenperspektiven auf die Aktivitäten der Bewohner*innen der Wohnung erfasst werden konnten. Geplant waren zudem teilnehmende Beobachtungen während zwei situativ zu bestimmenden Aneignungen der Wohnung, mit denen soziale Interaktionen innerhalb der Hausgemeinschaft und/oder der Nachbarschaft direkt beobachtet werden sollten. Zu solchen teilnehmenden Beobachtungen während größerer Zusammenkünfte von Menschen in der Wohnung konnte es aufgrund der erheblichen und fortwährenden Einschränkungen durch die Corona-Pandemie allerdings nicht kommen.

Zur Auswertung der quantitativen Daten aus den Fragebögen und aus den Tagebüchern (Zeiten und Aktivitäten) wurde auf Methoden der deskriptiven Statistik zurückgegriffen, die zunächst in Tabellen und Grafiken mündeten, um anschließend kontextualisiert zu werden. Zur Auswertung der qualitativen Daten aus den Tagebüchern (persönliche Erlebnisse) und aus den Interviews wurde eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt, die dazu diente, das reichhaltige Material der Erhebungen zur Aneignung der Wohnung systematisch extrahieren und anschließend separat weiterverarbeiten zu können. Zu diesem Zweck wurde eine Untersuchungsmatrix entwickelt, die auf einer theoretisch-konzeptuellen Annäherung an die Flexibilisierung und die Vergemeinschaftung des Wohnens als Ausdruck von Wohnbedürfnissen und Wohnformen des 21. Jahrhunderts aufbaute.

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden derzeit aufbereitet und münden schließlich in eine umfassende Publikation zum inter- und transdisziplinären Forschungsprojekt „Drei Zimmer, Küche, Diele, Bad“.

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